Tage Alter Musik – Programmheft 2024

Tage alTer Musik regensburg konzert 5 der traditionelle Opernstil, dem sich leclair in Skylla et Glaucus verschrieb, schlecht mit dem aktuellen geschmack. Die Orientierung an bewährten Vorbildern wird schon in leclairs instrumentaleinleitung hörbar, die sich an das althergebrachte schema der „französischen Ouvertüre“ hält und auf einen langsamen, gravitätischen beginn in punktierten rhythmen einen schnellen fugierten abschnitt folgen lässt, der die Ouvertüre beschließt. allein auf französische Vorläufer konzentriert ist leclair hier allerdings auch nicht; der schnelle abschluss seiner Ouvertüre bietet einiges an spieleffekten auf, zu denen leclair gut und gerne aus dem repertoire des norditalienischen Concerto angeregt worden sein könnte. immerhin war es die italienische Violintradition, die ihn überhaupt erst auf eine musikalische karriere hatte einschwenken lassen. seine berufliche laufbahn hatte leclair zunächst als Tänzer begonnen und war auf diesem Wege in den 1720er Jahren als ballettmeister nach Turin gekommen. Dort war giovanni battista somis – seinerseits schüler des legendärenarcangelo Corelli – auf das geigentalent leclairs aufmerksam geworden und soll diesen von einer laufbahn als Violinist überzeugt haben. leclairs Musikerkarriere nahm nach seiner rückkehr nach Paris 1728 an Fahrt auf, auftritte beim renommierten Concert spirituel belegen sein Prestige. leclair wurde ein gefeierter Violinist, komponierte Violinsonaten, Triosonaten und Violinkonzerte und erspielte sich so den ruf als „Corelly de la France“ (Charles-Henri blainville, L’Esprit de l’art musical, 1754). seine sechs Violinkonzerte op. 7 erschienen 1737, zur Zeit seines karrierehochs, und enthielten höchstwahrscheinlich auch kompositionen, die leclair beim Concert spirituel gespielt hatte. in seinen konzerten knüpfte er an Vorbilder des norditalienischen solo - konzerts an, ohne sie kopieren. seine weithin bewunderte spielfertigkeit, die umfassende Verbreitung seiner Violinkompositionen und seine ausgiebige Tätigkeit als lehrer machten leclair somit zum legitimen begründer einer „französischen Violinschule“. als leclairs karriere in voller blüte stand, hatte Vivaldis stern längst zu verblassen begonnen. sein letztes lebensjahrzehnt – er starb 1741 in Wien – scheint vor allem durch bemühungen geprägt gewesen zu sein, im italienischen Opernbetrieb noch einmal Fuß zu fassen, was durch offenbar schwindende Popularität und geschäftliche Misserfolge zunehmend schwieriger wurde. Mit der komposition von Violinkonzerten hatte Vivaldi indes nicht aufgehört, wohl aber von ihrer Veröffentlichung in individualdrucken (nur eigene Werke beinhaltend) bereits ende der 1720er Jahre abstand genommen. auch das Violinkonzert in h-Moll rV 384 ist nicht im Druck überliefert, sondern einzig in einer undatierten Partiturabschrift erhalten, die in Dresden aufbewahrt wird. Die schreibweise zeigt all jene formalen rahmenbedingungen, innerhalb derer sich Vivaldis schier unerschöpfliche Originalität als komponist von solokonzerten in zahlreichen beispielen ausgetobt hat: Die ecksätze – die in der erhaltenen Quelle keine Tempoangaben tragen, aber nicht anders denn als allegro gemeint sein können – entwickeln sich als Wechsel von meist drei bis fünf ritornellen des kompletten streichorchesters und dazwischen platzierten solopassagen der Violine, die auf die Melodik des ritornells zurückgreifen können oder auch nicht (in rV 384 nicht, hier dominieren arpeggi und freie spielfiguren). Dieser gediegenen Virtuosität der beiden schnellen sätze steht ein langsamer Mittelsatz gegenüber, der in rV 384 den besonderen reiz eines solo- Jean-Marie Leclair: Scylla & Glaucus Titelseite der Partitur, Paris, 1747 Jean-Marie Leclair, Gravure de F. Lugi d'après Loir, 1741 37

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