Tage Alter Musik – Programmheft 2019

77 T age a LTeR M USIK R egenSBURg Konzert 14 Siedler, die vom Pelzhandel lebten, einen ort für ihre gottesdienste und für die christliche erziehung finden sollten. Diese schlichte Kapelle sollte sich eines Tages zum bekanntesten Wahrzeichen des his- torischen erbes von Montréal ent- wickeln: Die Kirche notre-Dame- de-bon-Secours im Zentrum des historischen Montréals ist heute die älteste Kirche der Stadt. Die kleine gemeinde Ville-Marie war 1642 im Zuge des gewaltigen Projekts der französischen Koloni- alisierung gegründet worden und zählte 1651 ganze 51 einwohner. Mexiko-Stadt hingegen mit seinen damals bereits 105 000 Seelen stand ganz oben auf der Liste der wohl- habendsten und bevölkerungs- reichsten Städte der Welt. auch Puebla, Cuzco, Quito und Bogotà übertrafen die kleine Kolonie von Ville-Marie sowohl an größe als auch an sozialer, ökonomischer und kultureller Bedeutung. Mehrere Faktoren spielten dabei eine Rolle: Zum einen hatte die Kolonialisierung inMittel- und Süd- amerika bereits hundert Jahre früher begonnen. Dazu kommen beträcht- liche ökonomische Diskrepanzen. Während Montréals Schicksal von den gerade gängigenModeideen der europäischenaristokratie abhängig war – Biber und andere Pelze waren eine lukrative einnahmequelle –, fußte der Reichtum der spanischen Kolonien auf der schier unersätt- lichen gier des alten Kontinents nach gold und Silber. Tatsächlich hatten die entdeckungen der spani- schen Conquistadores denWelthan- del revolutioniert, und auf der grundlage der Reichtümer, die in den Minen von Potosi in Bolivien oder Zacatecas in Mexiko gefördert wurden, wuchsen die lateinamerika- nischen Städte zuMetropolen heran, die mit dem modernen Dubai oder mit Shanghai vergleichbar sind. In den neuenWirtschaftszentren des 17. Jahr- hunderts wurde ein Vermögen ausgegeben für den Bau von Palästen und Kirchen, die dem eigenen Selbstverständnis entsprechen sollten, während einflussreiche Kolonialisten den Komfort und Luxus anhäuften, den sie für ihren sozialen Status für unabdingbar hielten. Mit dem glanz der barocken Kathedralen, die heute noch vomWohlstand und einfluss dieser bedeutenden lateinamerikanischen Städte zeugen, ist aber auch untrennbar das Strahlen der Musik verbunden. In nordamerika hingegen, wo der alltag beinhart und auf das tägliche Überleben ausgerichtet war, kann man sich eine lebendige Musikkultur nur schwer vorstellen. Das heutige Programm umfasst Musik aus den spanischen Kolonien über einen Zeitraum von hundert Jahren (1630 – 1730), den man in drei Perioden einteilen kann. In der ersten von etwa 1630 bis 1670 blühte, mit etwas Verspätung, die Musik im Stil der Renaissance mit ihren immer kunstvolleren und ausufernderen Formaten, während man gleichzeitig der Harmonik im Stil Palestrinas treu blieb. Ver- glichen mit europa mag dieser Stil (für die damalige Zeit) konservativ sein, aber seine späte Blüte in der neuen Welt ist das Resultat des musikalischen erbes, das die Kom- ponisten, die mit der ersten Sied- lungswelle gekommen waren, in die Kolonien mitbrachten. Die Ver- tonung von Texten einheimischer autoren kennzeichnet diese Phase als die lateinamerikanische. In der zweiten Phase von etwa 1670 bis 1701 treten Komponisten in erscheinung, die bereits auf dem Kontinent geboren worden sind. In ihrer Musik finden sich einflüsse aus dem Italien des frühen 17. Jahr- hunderts mit seiner überbordenden Kreativität, Innovationskraft und extravaganz, und die venetianische Handschrift der Mehrstimmigkeit ist überall spürbar. Zudem tauchen populäre Formen auf, so z. B. der Villancico, der, wie auch die Zara- banda oder die Ciacona, aus Tän- zen entstanden ist, die die afrikani- schen Sklaven mitgebracht hatten. In europa sollten diese Tanzstile im folgenden Jahrhundert im europä- ischen Stil adaptiert werden und sich zu den beliebten Formen der Sarabande und der Chaconne ent- wickeln. Bei den vertonten Texten dominiert die Landessprache, aber auch afrikanische und indianische Dialekte kommen zu ehren. Kurzum: Die Kunst dieser epoche wurde zum Symbol einer Verbin- dung von Kulturen. Die dritte Phase setzt gegen 1701 ein und fällt mit dem ende der spa- nischen Linie der Habsburger Dynastie zusammen. Mit der Inthronisation des enkels von Louis XIV. in Spanien werden die Regeln für die auswanderung in die spanischen Kolonien gelockert, und so gelangen Tausende von Italienern und Franzosen, darunter natürlich auch viele Komponisten, auf der Suche nach ihrem glück in die neue Welt. Der geist von Vivaldi und Corelli durchzieht diese neue Ära mit ihrem einzigartig bunten Charakter, existieren doch die Stile des 16., 17. und 18. Jahrhunderts neben- und miteinander und verbinden sich zu einem unver- gleichlichen gemisch von europäischen und einheimischen elementen. Da geschichte immer die geschichte der Sieger ist und da Musikgeschichte überwiegend von der europäischen Kultur dominiert wurde, blieben uns die namen der Komponisten aus den Kolonien weitgehend unbekannt. Heute sind ihre Werke über den ganzen süd- und mittelamerikanischen Kontinent verstreut und finden sich in zahleichen Bibliotheken undarchi- ven der verschiedensten Klöster. Dieses Repertoire wird kaum ediert, nur selten gespielt und es existieren nur vereinzelt einspielungen. Die Kom- Hélène Brunet, Sopran Elaine Lachica, Sopran Philippe Gagné, Tenor Mark Bleeke, Tenor Joel González, Tenor Rodrigo del Pozo, Tenor

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