Tage Alter Musik – Programmheft 2006

Das Mittelalterensemble Allégorie zählt zu den hochinteressanten Neuentdeckungen in Frankreichs Alte-Musik-Szene. Seit 2000 hat die Gruppe an zahlreichen französischen Festivals teilgenommen und sich einen hervorragenden Ruf geschaffen. Immer wieder wird in Kritiken die erfrischende, zupackende und hochvirtuose Musizierweise des siebenköpfigen Ensembles hervorgehoben. Allégoriegastiert erstmals in Deutschland und stellt mit seinem Programm „L’arbre de Mai“ Musik des 15. Jahrhunderts am burgundischen Hof vor. Mit dem Programm „L’arbre de Mai“ debütierteAllégorie 2004 beim CD-Label Alpha und erhielt glänzende Kritiken. Eine zweite CD erscheint 2006. Zum Programm: Der burgundische Hof hatte zur Zeit Philipps III. des Guten (Philippe le Bon), der von 1419-1467 regierte, Einfluss auf alle Höfe Europas. Viele Musiker aus Frankreich, Italien, England, Deutschland, Portugal und Sizilien fanden sich hier ein und dominierten die Musikszene. So präsentieren wir im heutigen Programm Lieder und Tänze u. a. von den namentlich bekannten Komponisten Guillaume Dufay, Loyset Compère undArnold de Lantins sowie von z. T. anonymen Komponisten aus den Sammlungen und Manuskripten Bayeux, Margarete von Österreich, Lochamer Liederbuch und Buxheimer Orgelbuch. Die Frankoburgunder (Franco Bourguignons), als welche sie damals bekannt waren, dominierten die Musik des Spätmittelalters. Unter ihnen stach eine Anzahl kosmopolitischer Musiker durch ihre internationalen Karrieren hervor (als Pionier die bedeutendste Figur der französischen Ars Nova, Guillaume de Machaut, der Sekretär des Johannes von Luxemburg, Königs von Böhmen, und regelmäßig im Dienst des höchsten Adels). Ein Jahrhundert nach Machaut war Guillaume Dufay (etwa 1400-1474) zweifellos der führende Komponist seiner Zeit. Er wurde in Cambrai (möglicherweise in Fay oder Chimay) geboren und am Dom von Cambrai ausgebildet. Er reiste dann ausgiebig, besonders in Italien, wo er in Rimini am Hof von Carlo Malatesta, in Rom im Dienst des Papsttums, in Florenz, wo er die MotetteNuper rosarum flores für die Weihe des Doms komponierte, und in Ferrara wirkte, wo er für die Familie d’Este komponierte. Aber er verbrachte auch mehrere Jahre in Savoyen und (besonders) am burgundischen Hof Philipps des Guten, wo er sich mit dem gleichaltrigen Gilles Binchois anfreundete, der Kaplan der Hofkapelle war. Eine Miniatur, die Martin le Francs GedichtLe champion des Dames illustriert, zeigt die beiden Komponisten in freundschaftlicher Unterhaltung, Dufay mit einer Portativorgel und Binchois mit einer Harfe. Am Ende seines Lebens kehrte Dufay nach Cambrai zurück, wo er zu einemKanoniker gemacht wurde (wie viele Musiker seiner Zeit war er Kleriker). Seine späteren Jahre waren wahrscheinlich seine produktivsten. Wie Guillaume de Machaut warDufay ein vielseitiger Musiker, in geistlicher wie weltlicher Musik zu Hause, der die ausländischen Einflüsse, die ihm begegneten, perfekt assimilierte: die „englische Art“ ( contenance angloise ) des großen Polyphonisten John Dunstable und den weltlichen Stil der italienischen Höfe. Italienische Färbung zeigt sich in mehreren der Stücke im heutigen Programm, darunter seine Vertonung der ersten Strophe von PetrarcasVergine bella , während die französische Art in seinen Liedern für Neujahr, nämlich Bon jour, bon mois und Ce jour de l’an , vorherrscht. In dem Chanson de MaiResvelons nous amoureux erweist sich Dufay als geschickter Stratege, indem er offensichtlich das Material für die beiden tieferen Stimmen (die in striktem Kanon stehen) von seiner eigenen Motette O sancte Sebastiano entleiht und so zeigt, dass Musiker vom Ende des Mittelalters – wie die der Renaissance und des Barocks (ein berühmtes Beispiel findet sich bei Monteverdi, wenn er für sein Lamento d’Arianna die Melodie des geistlichen Pianto della Madonna benutzt) – keinen Unterschied zwischen menschlichem und göttlichem Fühlen machten. Arnold de Lantins , geboren in Lüttich, war ein weiterer fähiger Komponist der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Wie Dufay überquerte er die Alpen, um sein Glück in Italien zu suchen (zwei seiner in Venedig geschriebenen Lieder sind datiert März 1428). Die beiden Männer scheinen dort gute Bekannte gewesen zu sein. Sie arbeiteten zusammen in Venedig für die Hochzeit von Cleofa Malatesta mit Theodor Palaeologus (Sohn des abgesetzten byzantinischen Kaisers Manuels II.) im Jahre 1421, und beide sangen im päpstlichen Chor unter Papst Eugen IV.. Lantins Stil zeigt eine unbestreitbare mediterrane Sensibilität in dem hier vorgestellten Lied In tua memoria . Ein weiterer großer Name im Zusammenhang mit dem frankoflämischen Chanson war der des Loyset Compère (etwa 1445-1518), der aus der Picardie kam und ein früher Renaissancekomponist war, Zeitgenosse von Josquin des Prés und Alexander Agricola. Auch er fühlte sich nach Italien hingezogen: er war Sänger in der Familienkapelle der Sforza in Mailand, bevor er 1486 chantre ordinaire für Karl VII. von Frankreich wurde. Er glänzte in der Kunst der Komposition leichter, fröhlicher Lieder. Sein deskriptives Vive le Noble Roymit seinem lebhaften Rhythmus deutet voraus auf die Schlachtstücke, die im 16. Jahrhundert so populär werden sollten (Clément Janequins ChansonLa guerreist ein schönes Beispiel), während es gleichzeitig früheren Formen treu bleibt (nach seinen eigenen Aussagen war Dufay sein erster Lehrer). Neben diesen wohlbekannten Namen gab es eine Masse anonymer Sammlungen, darunter die Handschrift von Bayeux , die um 1515 für den Hochkonnetabel Charles de Bourbon kopiert wurde (der später seinen König Franz I. verriet und in den Dienst des Kaisers Karls V. trat). Die meisten der Lieder in der Handschrift (in diesem Programm repräsentiert durch Tenez ces fols en joyeundHellas mon cueur ) wurden in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts geschrieben. Nur eine Stimme ist für jedes der Lieder gegeben, aber sie werden allgemein aufgeführt entweder als Polyphonie mit Bezug auf die Kompositionsform, die zu jener Zeit vorherrschend war, oder als Solo-Lieder mit Instrumentalbegleitung als Vorläufer der barocken Monodie. Eine weitere Liedersammlung der Periode, diesTAGEALTERMUSIKREGENSBURG Allégorie (Frankreich) JUNI2006 Freitag, 2. Juni 2006, 22.45 Uhr (Nachtkonzert) St.-Oswald-Kirche , Weißgerbergraben 8 L’arbre de Mai – Lieder und Tänze von Guillaume Dufay, Loyset Compère und deren Zeitgenossen am burgundischen Hof zur Zeit Philipps III. des Guten (1419-1467) Allégorie

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