Tage Alter Musik – Programmheft 2004

MitRed Priest stellt sich eine der innovativsten und unkonventionellsten Barockgruppen der jüngsten Zeit in Regensburg vor. „Elektrisierend“, „waghalsig“, „brilliant und inspiriert“, „herrlich verdreht“, so wird ihr Stil beschrieben. Benannt nach dem Priester mit dem flammenden Haar, Antonio Vivaldi, hat dieses ungewöhnliche englische Ensemble die Art der barocken Musizierpraxis neu definiert. Seit ihrer Gründung im Jahr 1997 feiern die vier jungen Briten außergewöhnliche Erfolge mit ihren Konzerten und CD-Einspielungen (Dorian). Erst kürzlich hat Red Priest eine höchst bemerkenswerte CD-Einspielung von Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ vorgelegt. Sie spielen ihre Programme weitgehend auswendig, was ihren Aufführungen ein hohes Maß an Freiheit und Interaktion erlaubt, dabei schaffen sie eine kaleidoskopartige Palette an unterschiedlichen Stimmungen und Klangfarben. Das extravagant barocke Ethos der Gruppe ist vielleicht am besten in den Worten des englischen Musikwissenschaftlers George Pratt zusammengefasst: „Wenn niemand den Gipfel überschreitet, wie sollen wir dann wissen, wie es auf der anderen Seite aussieht?“ Zum Programm: Die Stadt Venedig verbindet man schon lange mit Magie und Alchemie. Die ganze Renaissancezeit hindurch blieb die Stadt eine inoffizielle Oase für hermetische Studien und ebensolche Praxis in einem ansonsten christianisierten Europa, und durch ihre besondere Lage als Handelstor zum Osten wurde sie zu einem Schmelztiegel von westlichen Mysteriums-Traditionen und islamischer und orientalischer Kultur. In dieser überaus kreativen Umgebung entstand an der Wende des 17. Jahrhunderts ein außerordentlicher neuer Instrumentalmusikstil, den man als den Stilus Phantasticus bezeichnete – was den Beginn des Barockzeitalters (das Wort ‚barock’ bedeutet ursprünglich nur ‚fremdartig’ oder ‚bizarr’) darstellte. Unser Programm erforscht sowohl die Wurzeln als auch die in ganz Europa folgende Entwicklung dieses extravaganten musikalischen Stils über 150 Jahre. Und wo könnte man besser anfangen als bei dem ursprünglichen „Red Priest“ (Roten Priester) Venedigs selbst, nämlich Antonio Vivaldi? Trotz seiner herausragenden Position in der römischen Kirche wäre es ganz falsch, Vivaldi als von traditionellen priesterlichen Werten erfüllt zu sehen – in der Tat war er nach allem, was wir wissen, ein heißblütiger „Showman“, ein Mann voller Extravaganz in allen weltlichen Belangen, die schließlich sowohl seine Gesundheit als auch seinen Reichtum zerstören sollte. Seine Musik wird ebenso oft falsch dargestellt. Während seine etwa 500 Konzerte zweifellos eine Anzahl von Fließbandprodukten aufweisen, hält sein andauernd schlechter Ruf als Komponist von nur simplen Harmonien und Bildern voll endloser Wiederholungen keiner genauen Nachprüfung stand und wird sofort widerlegt in den ersten Takten seines Albtraum-Konzerts – einer Art Horrorfilmmusik des 18. Jahrhunderts mit fetzigen Rhythmen, die in ein bedrohliches Pulsieren hinüberführen, wenn für den imaginären Protagonisten des Konzerts eine Nacht des Schreckens beginnt. Der zweite Satz trägt den TitelFantasmi (Phantome) : gespenstische Figuren, die durch die Vorstellung rasen, anhalten, um bedrohlich in der zentralen Oase des Satzes zu schweben, bevor sie rasend weiterwirbeln. Eine kurze Zeit der Ruhe folgt in Il Sonno (Der Schlaf) – aber die 27 langsamen Takte von Missklang suggerieren ein tieferliegendes Unbehagen, bevor die albtraumhafte Jagd wieder losgeht, um das Konzert zu seinem beunruhigenden Schluss zu bringen. Auch das England der Shakespearezeit hatte seinen Anteil an musikalischer Magie und Fantasie – besonders in der Tradition der Maskenspiele und der lustigen Zwischenspiele, wo das Unmögliche möglich gemacht wurde in der Dramatisierung von mythologischen Geschichten; mythologische Figuren sind reichlich vorhanden, und das Genre ist reich ausgestattet mit Feen, Hexen, Dämonen und Satyren, die hier in der Theatermusik von Robert Johnson und dem treffend benannten Nicholas Le Strange repräsentiert werden. Da nur wenige Informationen über die Aufführungsweise dieser Musik erhalten sind, haben wir unsere eigenen Versionen der einfachen, rustikalen Melodien geschaffen durch Hinzufügen von arpeggierten Cembaloakkorden, Tremolos, „off-Beat“-Akkorden in der Violine und schrecklichem Gegackere. Eine Generation später sollte der englische Orpheus Henry Purcell diese Tradition in seine Opern übernehmen, besonders in die Oper Fairy Queen , die auf der populärsten Shakespeare-Fantasie A Midsummer Night's Dream (Ein Sommernachtstraum) basiert, aus der wir den leichtfüßigen Feentanz ( Fairy Dance ) und die abschließende Chaconne aufführen, zusammen mit dem gefühlvollen Two in One upon a Ground ausDioclesian . Johann Sebastian Bach war ein großer Bewunderer der Musik Vivaldis und seiner italienischen Zeitgenossen. Obwohl er keine Trio-Sonaten für unsere spezifische Besetzung schrieb, folgen wir anerkannten Präzedenzfällen, indem wir ein neues konzertantes Werk schaffen aus seiner Flötensonate BWV 1020, wenn wir die drei ausgeschriebenen Melodielinien, Flötenstimme, Cembalopart und Bassstimme in vielfältiger Art behandeln, wie das im 18. Jahrhundert durchaus üblich war; im ersten Satz übernimmt das Cembalo die melodische Führung, wobei es durch die Streicher harmonisch gestützt wird, und im zweiten Satz wird durch ein Duett von Violoncello und Bassblockflöte eine reiche Textur geschaffen. Im abschließenden Allegro spielt die Violine den Part der rechten Hand des Tasteninstruments. Viele von Bachs dreistimmigen Kompositionen (wie die Triosonaten für Orgel und alle Sonaten für Soloinstrumente mit Stimmen für obligates Cembalo) können von solcher Behandlung proTAGEALTERMUSIKREGENSBURG Red Priest (Großbritannien) MAI2004 Sonntag, 30. Mai 2004, 22.45 Uhr (Nachtkonzert), Reichssaal , Rathausplatz „Nightmare in Venice“ – Ein nächtliches Barockspektakel 34 Red Priest

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