Tage Alter Musik – Almanach 2018

70 Die 34. TAGE ALTER MUSIK Regensburg im Zeitraum von 35 Jahren spannten in die- sem Jahr einen Bogen vom Mittelalter (La Camera delle Lacrime – Livre Vermeil de Montserrat; Sollazzo Ensemble – da Firenze, Anonymus et al.) über die Renaissance (Ala- mire & The English Cornett & Sackbut En- semble – Petrus Alamire; Hana Blažíková & Bruce Dickey – Kapsberger, Bassani et al.; InAlto – Gabrieli, Monteverdi et al.; Tene- brae Consort – de Victoria) und das Barock (Favoletta & European Union Baroque Or- chestra – Vivaldi; La Folia Barockorchester & Ensemble Polyharmonique – Bach; Les Passions de l’Ame – Biber; Vox Luminis – Bach; Finnish Baroque Orchestra – Tele- mann, Muffat et al.; Barokksolistene – Pur- cell; Alehouse Session; Stylus Phantasticus – Marini, Guederon, Waesich et al.; Ensemble Baroque Atlantique – Bach; Ensemble Inégal & Prague Baroque Soloists – Zelenka) bis hin zur Romantik (Regensburger Domspat- zen/Concerto Köln – Mendelssohn Bar- tholdy). Und natürlich waren die Konzerte wieder ausverkauft, manche schon nach zwei Tagen. Die „nördlichste Stadt Italiens“ am nördlichsten Punkt der Donau lockte wie eh und je ihre Fans in die historischen Säle und Kirchen Regensburgs. Für die meisten ist dies seit Jahrzehnten Kult, wie man bei- spielsweise in der Programmzeitung und hier imGrußwort von Jan Nuchelmans, dem ehemaligen künstlerischen Leiter des Utrechter Oude Muziek Festivals, lesen konnte: Er kommt seit 1986 zunächst beruf- lich, jetzt privat in die Domstadt. Und viele Gesichter im Publikum kennt man ebenfalls seit Jahren und Jahrzehnten. Wie immer eröffneten die Domspatzen in der evangelischen Dreieinigkeitskirche den Konzertreigen und wie immer beendete man diesen am Pfingstmontagabend am sel- ben Ort. Dazwischen gab es ein Auf und Ab an hochinteressanten Konzerten, vom en- thusiastischen Publikumwie immer herzlich aufgenommen. Die Heranführung von jun- gem Publikum an die Historische Auffüh- rungspraxis und Alte Musik steht seit eini- gen Jahren auf der Agenda des Regensburger Festivals. Und so boten die TAGE ALTER MUSIK im Jahr 2018 eine Art Kinderkon- zert unter dem Titel „Concertatio in Silva – Der Streit imWalde“ mit dem Figurenthea- ter Favoletta und dem European Union Ba- roque Orchestra unter der Leitung von Bo- jan Čičić im Neuhaussaal des Theaters am Bismarckplatz am Samstagnachmittag an. Favoletta existiert in seiner jetzigen Form seit exakt 40 Jahren und führt die beinahe 200-jährige Familientradition eines Wander- theaters fort. Die kleine Bühne imNeuhaus- saal glich also einer Wanderbühne, wie man sie aus fernen Tagen kennt. Michael Schnei- der erzählte hier die kindgerechte betuliche Geschichte vom Streit der Bäume („Flach- wurzler und Tiefwurzler“) im Walde, vom Unsinn und Scheitern des Egoismus und der schlussendlichen Synthese „Ein Adagio für Liebe und Menschlichkeit“. Das EUBO hatte die Aufgabe, diese langatmige Geschichte musikalisch zu untermalen. Und mehr als eine Untermalungsmusik war das Ergebnis dann auch nicht. Das lag nicht allein an der Interpretation, sondern vor allem am Kon- zept. Auf dem Programm stand „Das Mär- chen von der tausendjährigen Eiche in drei Akten und zwölf musikalischen Sätzen zur Musik von Antonio Vivaldis Vier Jahreszei- ten“. Doch wer nun die klassischen Quattro Stagioni des prete rosso erwartet hatte, wurde schmerzlich überrascht. Man hatte Vivaldis Einzelsätze aus dem ur- sprünglichen Kompositionskontext geschält und sie mutwillig zu einem Klangbild zu- sammengefügt, welches allein der Drama- turgie auf der Wanderbühne geschuldet war. Weiterführende Erzählungen unterbrachen permanent den zu singulären Sätzen mutier- ten Instrumentenvortrag. Vivaldi wurde be- langlose Begleitmusik, die gebannt lauschen- den Kinder und auch das erwachsene Publi- kum achteten mehr auf das Bühnenspekta- kel denn auf die Interpretation. Spieltechni- sche Feinheiten gingen so im Gelächter un- ter, die durchaus vorhandene Qualität des Orchesters verlor sich schließlich im Trivia- len. So vergaß man auch das rechtzeitige Nachstimmen; die Unsauberkeiten und Un- reinheiten mehrten sich. Und dann riss auch noch eine A-Saite in der Violine I … Kurz, als Kinderkonzert war dies ein großer Wurf, der Musik aber hat man damit einen Bären- dienst erwiesen. Zur selben Zeit, doch einen Tag später, lud das Vokalensemble Vox Luminis in die Ba- silika St. Emmeram am Schloss derer von Thurn und Taxis. Das Ensemble, 2004 ge- gründet, war 2014 schon einmal mit einem spektakulären Nachtkonzert in Regensburg aufgetreten. Dementsprechend hoch waren also die Erwartungen an die Interpretation der fünf Bach-Motetten BWV 225-229. Das zehnköpfige belgische Ensemble unter der Leitung von Lionel Meunier, der auch selbst im Bass mitsang, hatte weitere zehn Instru- mentalisten mitgebracht, welche einzelnen Motetten ein Fundament gaben, das eigent- lich gar nicht notwendig gewesen wäre. Denn die überragende Qualität der Truppe zeigte sich vor allem dann in den a capella vorgetragenen Stücken bzw. wenn die Mo- tetten lediglich mit Cello und Orgel unter- legt waren. Vox Luminis legte die Messlatte wieder sehr hoch, brachte mit dem doppelchörigen „Sin- get demHerrn ein neues Lied“ einen präch- tigen Einstieg, flotte Tempi, klare und exakte Koloraturen, die mit völliger Hingabe und einer fließenden, pulsierenden und mitein- ander verwobenen Musizierfreude dargebo- ten wurden. Der Vortrag war eindrucksvoll, ging an vokale und spieltechnische Grenzen, blieb sauber und spannend – der cantus fir- mus in den jeweiligenMotetten zum Beispiel war immer präsent, jedoch nicht aufdring- lich. Diese Balance geriet jedoch nach der orchestralen Sinfonia für Oboe, Streicher und Basso continuo aus dem Osterorato- rium BWV 249 in leichte Schieflage. Nun waren die vokalen Bässe deutlich zu stark, die Mittellagen kaum zu vernehmen, selbst die stets klaren und prägnanten Soprane setzten sich nicht mehr so leicht durch. Eine Korrektur durch den Leiter oder Dirigenten konnte nicht erfolgen, da er ja selbst (Bass) sang. Besonders auffällig wurde dies in den aufsteigenden Fugeneinsätzen zu „Der saure Musik vomMittelalter bis zur Romantik // Ausgabe Juli/August 2018 // Autor: Robert Strobl

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