Tage Alter Musik – Almanach 2018

60 22. Mai 2018 // Von Uwe Mitsching Diesmal macht das Festivalkonzert dem Fes- tivallokal Konkurrenz: hier ab 23 Uhr Spag- hetti und Pizza, um viertel nach Zwölf noch die „Alehouse-Session“ im „Leeren Beutel“ und mit Musik aus Kneipen und Spelunken von Henry Purcell. Da kann nur die Rede von den „Tagen Alter Musik“ in Regensburg sein, dem Festival-Solitär in Sachen Bach & Co, jetzt wieder zu Pfingsten, alles ausverkauft – erst gestern Abend war Schluss mit Musik von Jan Dismas Zelenka und passend dazu Musi- kern aus Prag. Regensburg – Was man für Händel längst untersucht hat, jetzt gab es in Regensburg ei- nen Abend, der auch bei J. S. Bach nachfragt: Was hat er abgeschrieben, umgearbeitet, ein- gebaut? Und von welchen Kollegen: schon lange tot oder munter in Musik-Europa unterwegs? Bach war nie auf der üblichen Kunstreise von London bis Rom, aber im- mer bestens informiert. Was er für seinen Zettelkasten gesammelt, für die eigenen Aufführungsmöglichkeiten zu- recht geschnitten hat, führten in der Dreiei- nigkeitskirche das „La Folia“-Barockorchester und das Vokal-„Ensemble Polyharmonique“ vor. Der Titel „Re-Formation“ hatte dabei nichts mit Religion zu tun, eher schonmit Re- cycling: Wo baut Bach Peranda ein, was macht er aus Marcellos Oboenkonzert? Blank abgekupfert ist da nichts, man hört die Progressivität Bachs und erlebt an diesem Abend die verwegen polyphone Artistik der „Polyharmonique“-Sänger, die alles in un- glaublicher Fülle vorführen und die virtuose Wirkung meist noch verdoppeln: etwa bei der opernhaften Kantaten-Dramatik nach Francesco Bartolomeo Conti oder dem Oboen-Zierrat anderer Italiener als Import- ware aus dem Süden. Längst über Zettelkästen, Schubläden und Notenarchive hinaus: die Meisterwerke eines Telemann oder Leclair am nächsten Festival- Abend. Das war ein Überblick, was die Mu- sik des 18. Jahrhunderts alles kann, war ein eleganter Cocktail aus italienischer, franzö- sischer, deutscher Musikmode. Angerichtet von der fabelhaften Geigerin Amandine Beyer aus Aix-en-Provence und dem „Finnish Baroque Orchestra“ aus Hel- sinki – eine tolle Kombination, imMoment schier unübertroffen, wenn etwa Georg Philipp Telemanns Suite „Hamburger Ebb‘ und Fluth“ interpretiert wird: Das ist so ver- gnüglich und unterhaltsam, so virtuos und überraschend wie die Wasserspiele von Hell- brunn oder in der Bayreuther Eremitage – köstlich klingendes Notengesprudel. Die finnischen Musiker spielen schon die Ouverture, die von Göttern und Elementen erzählt, augenzwinkernd gravitätisch, lassen die Qualität ihrer Holzbläserriege funkeln, und die Streicher eilen ihrem leichtfüßigen Vorbild Amandine Beyer nach. Sie spielt in den Konzerten von Telemann und Leclair flamboyant bis an die Grenze des Manieris- tischen höchst graziöse Musik-Rocaillen. Die Stücke von Georg Muffat, ein Jahrhun- dert älter, geben Beyer und die Finnen in vollendeter barocker Klangrede und recht- fertigen das Schlussurteil: sensationell! Kein Wunder, dass man im Publikum bei diesen 34. „Tagen“ immer mehr Musik- freunde aus Neumarkt sieht, manche sich sogar in Regensburg tagelang einmieten, um nichts von den 17 Konzerten an immer mehr Spielstätten und an vier Tagen zu ver- säumen. Unterhaltsames Notengesprudel Musikfreunde aus Neumarkt pilgern zu „Tagen Alter Musik“ Mitglieder des Finnish Baroque Orchestra

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