Tage Alter Musik – Almanach 2018
Neue Musikzeitung 59 setzte Ensemble vom ersten Geigenpult aus zu spritzigen Darbietungen Muffats und Te- lemanns („Hamburger Ebb’ und Fluth“) und überzeugte als Solistin in einem Konzert Jean-Marie Leclairs. In der Suite aus „Scylla et Glaucus“ präsentierten die Finnen den Franzosen überraschenderweise als einen Komponisten, der es in Sachen Farben- und Einfallsreichtum beinahe mit Rameau auf- nehmen kann. Mereth Lüthi und Sabine Stoffer von „Les Passion de l’Ame“ (Schweiz) indes hatten die anspruchsvolle Aufgabe übernommen, eine Verbindung zur traditionell gleichzeitig stattfindenden Instrumentenbau-Präsenta- tion herzustellen. So hatten sie sich in kür- zester Zeit mit ihnen bis dahin fremden Gei- gen angefreundet und brillierten kleiner An- passungsprobleme zum Trotz mit vier herr- lichen Partiten Ignaz Franz Bibers, in jeweils neuen Skordaturen versteht sich… Inseln innerer Sammlung: Vokales Bei den vokal geprägten Konzerten konnte man unter anderem verschiedene Arten der instrumentalen Colla-parte-Unterstützung vergleichen. Die hochkompetenten Sänger von „Alamire“ (Großbritannien) ließen sich in den Gesängen aus dem 16. Jahrhundert von den Zinken und Posaunen des „English Cornett & Sackbut Ensemble“ beflügeln, bei der belgischen Formation „InAlto“ kamen zu den Bläsern noch Geige, Theorbe und Orgel hinzu. Der etwas anämische Zu- sammenklang trug allerdings nicht dazu bei, einen wirklich zwingenden Bogen über das venezianische Programm mit Monteverdi und Zeitgenossen zu spannen. Anders die Bach-Motetten mit „Vox Lumi- nis“ (Belgien): Die Doppelchörigkeit der vier kürzerenWerke markierte das ebenfalls belgische Ensemble nicht nur durch die Aufstellung, sondern auch durch die Zuord- nung von mitspielenden Streichern für den einen und Bläsern (Oboen und Fagott) für den anderen Chor. Das ergab eine exquisite Klangmischung, die andererseits aber die Satzsstruktur hervorragend durchhörbar machte. Die kluge Beschränkung auf eine Continuo-Begleitung fokussierte in „Jesu meine Freude“ das Hören auf die von den Sängern überragend erfüllte fünfstimmige (nun doppelt besetzte) Struktur, innerhalb derer die dreistimmigen solistischen Passa- gen und das traumverlorene „Gute Nacht, o Wesen“ Inseln der inneren Sammlung bil- deten. Schwindelerregend gar der Auftritt des bri- tischen Tenebrae Consort mit Werken Alonso Lobos und Tomás Luis de Victorias (Responsorien und Lamentation zum Kar- samstag sowie das Requiem). Nigel Short ist das Kunststück gelungen, aus sechs Frauen und vier Männern einen Klangkörper zu formen, der die polyphonen Strukturen quasi wie ein Organismus ausatmet. Die Übereinstimmung der Timbres wird be- sonders deutlich, wenn die sechs Frauen eine gregorianische Intonation imUnisono anstimmen und der Chorklang sich an- schließend aufzufächern beginnt. Wie durch ein Medium scheint diese zeitlose Musik hindurchzufließen. Das bedeutet bei Tenebrae jedoch kein ehrfürchtiges Erstar- ren in stiller Größe. Einzelne Textpassagen des Requiems („…dass die Hölle sie nicht verschlinge…“) werden vielmehr – immer im Rahmen des stilistisch Gebotenen – mit expressiver Kraft aufgeladen. Auch der leichteren Muse gibt das Regens- burger Festival immer wieder Raum. So ent- schädigten die „Barokksolistene“ (Nor- wegen) rund um das geigende Energiebün- del Bjarte Eike mit einer hinreißenden „Ale- house Session“ für ihre zuvor ziemlich dreist hingeschlampte Purcell-Hommage. Zelenka der Große Das Abschlusskonzert des Ensemble Inégal und der Prague Baroque Soloists war schließlich ein überwältigender Beweis für die Originalität und kompositorische Meis- terschaft Jan Dismas Zelenkas. Man kam aus dem Staunen nicht heraus, mit welchem Einfallsreichtum er die Texte der Vesperp- salmen, von denen das Programm eine Aus- wahl präsentierte, zum Klingen bringt. Da unterbricht (im „Beatus vir“) plötzlich ein zwischen Erregung und staunender Ehr- furcht changierender Chorabschnitt die rast- lose Verzahnung von Alt-Solo und Chor oder ein permanent wiederholtes Motiv sorgt ein komplettes Stück lang („Nisi Do- minus“) für einen durchlaufenden, fast groo- venden Puls. Gekrönt werden die Psalmen jeweils von „Amen“-Rufen, die vielgestalti- ger kaum sein könnten. So endet das „In exitu“ mit einer aberwitzigen Fuge, deren Thema mehr nach Max Reger als nach 18. Jahrhundert klingt. All das war bei den tschechischen Musikern in besten Händen: Der knapp 20-köpfige Chor glänzte, ebenso wie die Solisten, mit elastischer Klangfülle und virtuoser Geläu- figkeit, wobei Dirigent Adam Viktora die bisweilen sportive Gangart mit zackigen Be- wegungen am Laufen hielt. Riesenjubel für diesen denkwürdigen Ohrenöffner zumAb- schluss eines wieder einmal höchst anregen- den Festivalmarathons. InAlto in der St.-Oswald-Kirche
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