Tage Alter Musik – Almanach 2018

Mittelbayerische Zeitung 51 Die beste Stimmung herrschte bei der Ale- house Session im Leeren Beutel. Gemeint ist damit nicht die sorgfältige Stimmung der In- strumente, die bei den Konzerten mit alten Instrumenten naturgemäß mehr Zeit in An- spruch nimmt als sonst, sondern die Taver- nenatmosphäre, die das Ensemble Barokk- solistene aus Norwegen verbreitete. Die Interaktion der sieben „Alehouse Boys“ um Bjarte Eike, die spielen, trinken, tratschen, grölen, lachen, tanzen, singen, sogar raufen im Slow-Motion-Modus, riss das sich im Restaurant des Leeren Beutels schier sta- pelnde Publikum zu Begeisterungsstürmen hin, ebenso wie zum Mitmachen und Mit- singen. In England und Wales gab es bereits 1630 rund 30 000 Alehouses, in denen man über- wiegend Trinklieder und einfache Geigen- und Flötenmusik spielte. Als mit dem Aus- bruch des englischen Bürgerkrieges 1642 Kirchen- und Hofmusiker entlassen und später auch sämtliche Theater geschlossen wurden, sammelten sich die professionellen Sänger, Musiker und Schauspieler in den Bierschänken. Es entstand eine neue Knei- penform, das „Musick House“. Die Schattierungen der Liebe Bjarte Eike, fantastischer Barockgeiger, ent- wickelt seine Alehouse Sessions aus dieser Tradition heraus. Einfache Jigs und Reels, Trinklieder, aber auch ein Lied von Carl Mi- chael Bellmann, dem berühmtesten Lieder- dichter Schwedens, wechselten ab mit Schlagzeugsoli, genialen Tanzeinlagen oder Schimpftiraden Steven Players, sentimenta- len Bratschensongs - und das alles in höch- ster musikalischer Qualität. Viel sanfter ging es zu mit dem Ensemble stylus Phantasticus aus Deutschland. Im kultivierten Gambenklang erkundete man die „Geographie der Gefühle“. In einem Ro- man von Madeleine de Scudéry findet sich eine Landkarte zur Vermessung der Liebe. Mehrere Wege führen zur Liebe, auch Ab- wege zweigen ab zu den Leidenschaften oder zum See der Gleichgültigkeit. In der Mitte dagegen fließt der Fluss der gegenseitigen Zuneigung. In der Musik des 17. Jahrhunderts entwi- ckelte sich eine eigene Gattung, die sich mit der Liebe in all ihren Schattierungen be- schäftigte, die Air de cour. Diese weltlichen, strophischen Lieder wurden vor allem am französischen Königshof gepflegt. Alle Kom- ponisten dieses Programms hatten am Hof eine Stellung inne. Zu den Höhepunkten des Konzerts zählte das wunderbare „Tout se peint de verdure“ von Moulinié, das das Er- wachen des Frühlings gleichsetzt mit neu aufblühender Liebe. Ganz farbig besetzte man hier, mal mit dem ganzen Ensemble, dann nur mit Lautenbegleitung, ließ auch den vorzüglich gespielten Zink (Jean Tu- béry) „singen“ neben Claire Lefilliâtre, die mit ihrem dunkel timbrierten Sopran vom Schiffbruch bis zu tirilierenden Vogelstim- men alles darzustellen wusste. Sie setzte raf- finierte Betonungen, sorgte für Intensität und Affektgehalt. Das Gambenensemble un- ter Leitung von Friederike Heumann spielte unglaublich farbig und wandlungsfähig, nicht nur sanft, sondern auch druckvoll und lustig, mit blühenden Verzierungen in den reinen Instrumentalstücken von Waesich und Mersenne. Groß besetzter Musik des 18. Jahrhunderts widmeten sich mit dem Finnish Baroque Von deftig bis duftig-zart Die ganze Pracht und Vielfalt Alter Musik war bei vier Konzerten zu erleben. Der Leere Beutel wurde sogar zur Alehouse Station Von Claudia Böckel Barokksolistene im Konzertsaal Leerer Beutel

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